Schweizer haben für uns vorgespurt

Matthias Benz (Neue Zürcher Zeitung 8.12.2014, Wien)

Nicht nur die Schweizerische Nationalbank verficht eine Kursuntergrenze zum Euro. Auch die Zentralbank Tschechiens hat vor einem Jahr zu diesem Mittel gegriffen. Bankchef Singer hält die Intervention für erfolgreich. Er betont aber auch die Differenzen.

Die Notenbankpolitiken in der Schweiz und in Tschechien weisen derzeit auffällige Parallelen auf. Während die Schweizerische Nationalbank (SNB) vor gut drei Jahren eine Kursuntergrenze zum Euro eingeführt hat, um vor allem die Exportwirtschaft vor schweren Verwerfungen zu schützen, griff die tschechische Zentralbank (CNB) im November 2013 zu diesem Mittel. Seither gilt eine Kursuntergrenze von 27 tschechischen Kronen zum Euro. Und auch in Tschechien hat die Notenbank diesen Mindestkurs durchzusetzen vermocht.

Erfolgreiche Intervention

In Tschechien ist es vor allem darum gegangen, eine längere Phase der Deflation zu verhindern, wie Notenbankchef Miroslav Singer im Gespräch erklärt. Die Teuerung habe sich weit vom Inflationsziel der Notenbank – ihrem gesetzlichen Hauptauftrag – entfernt gehabt. Eine Senkung der Leitzinsen sei aber nicht mehr möglich gewesen, weil diese bereits seit über einem Jahr bei 0,05% gelegen hätten. Eine quantitative Lockerung habe im tschechischen Umfeld mit bereits niedrigen Marktzinsen auch keine Option dargestellt. Also griff man zur künstlichen Abschwächung der Währung. Nach Singers Aussagen entsprach der Schritt von der erwarteten Wirkung her einer Leitzinssenkung von einem Prozentpunkt.

Ein Jahr später zieht der Notenbankchef eine positive Bilanz. Zum Zeitpunkt der Intervention kämpfte die tschechische Wirtschaft mit einer langwierigen Rezession. In diesem und im kommenden Jahr soll das Bruttoinlandprodukt nun um jeweils rund 2,5% wachsen, womit Tschechien vom wachstumsschwächsten ins wachstumsstärkste Drittel der europäischen Länder aufstiege. Auch die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, und andere Indikatoren wie Investitionen, Produktion, Exporte, Konsum und Löhne haben deutlich angezogen. Vor allem aber ist die Inflationsrate als Hauptziel der CNB wieder gestiegen. Im November lag der relevante Wert bei 0,6%, gegenüber 0,2% vor Jahresfrist (das Ziel liegt bei 2%).

Lernen vom Schweizer Fall

Die CNB sieht sich indessen nicht allein für die Verbesserung der Lage verantwortlich. Geholfen hat laut Singer auch eine etwas expansivere Fiskalpolitik sowie die Erholung in der Euro-Zone, mit der Tschechien wirtschaftlich eng verbunden ist (allerdings ist der europäische Aufschwung jüngst wieder zum Erliegen gekommen). Insgesamt schätzt Singer, dass die Wechselkurs-Intervention der Notenbank rund die Hälfte der positiven Entwicklungen ausgelöst hat. Die CNB kann damit als Beispiel dafür dienen, wie ein Land von einer autonomen Geldpolitik profitiert. So können etwa die Krisenländer in der Euro-Zone nicht mehr auf eine eigene Geldpolitik zurückgreifen, um wirtschaftlichen Verwerfungen entgegenzuwirken. In Tschechien verspürt man dementsprechend überhaupt keine Neigung, der Euro-Zone bald beizutreten.

Im Gegensatz zum Schweizer Fall hat die CNB ihren Erfolg relativ günstig zu erkaufen vermocht. Die Zentralbank brauchte nur während etwa dreier Tage Devisen in Höhe von 7 Mrd. € zu kaufen, um die Untergrenze durchzusetzen. Die Bilanz der Notenbank dehnte sich dadurch um 30% aus. Dagegen musste die SNB Euro im grossen Stil erwerben; ihre Bilanzsumme hat sich im Zuge der Euro-Kurs-Intervention annähernd auf gut 520 Mrd. Fr. verdoppelt. Damit verbunden ist auch ein anderer wichtiger Unterschied zwischen den Ländern. Während man in der Schweiz gegen «Blasen» etwa auf dem Immobilienmarkt kämpft, sind solche problematischen Nebeneffekte in Tschechien nicht zu beobachten. Man sehe keine Tendenzen zur Blasenbildung, sagt Singer.

Wie war es möglich, dass die tschechische Intervention fast reibungs- und problemlos über die Bühne ging? Singer erklärt unumwunden: «Die Schweizerische Nationalbank hat viel für uns vorgespurt. Wir stehen gewissermassen auf ihren Schultern.» Die Schweizer Intervention habe die Welt an den Devisenmärkten verändert, die Akteure sähen es nun als Normalität an, dass eine Notenbank auf diese Weise eingreife und eine Kursuntergrenze durchsetze.

Man habe aber auch vom Schweizer Fall gelernt. So sei es wichtig gewesen, die Marktakteure schon ein Jahr im Voraus darauf vorzubereiten, dass man allenfalls intervenieren werde. Auch habe man frühzeitig gehandelt, bevor eine zu starke Aufwertung der Krone eingesetzt habe. Schliesslich spielen laut Singer die neuen Regulierungen und Kapitalvorschriften für die Banken eine Rolle. Händler könnten es heute kaum mehr durchhalten, für längere Zeit gegen eine Notenbank zu wetten.

Zu früh für den Ausstieg

Die Zeit für das Aufgeben der Kursuntergrenze ist weder in der Schweiz noch in Tschechien gekommen. Die CNB verfolgt in dieser Hinsicht eine Art «forward guidance»; jüngst gab sie bekannt, dass sie den Mindestkurs mindestens bis Ende 2015 aufrechterhalten werde. Derzeit sieht Singer keine Gefahren in der immer lockereren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Im Gegensatz zum Franken hat sich die Krone dadurch nicht näher an die Kursuntergrenze bewegt. Es scheint, dass die CNB diese nicht wird verteidigen müssen, während in der Schweiz wieder Marktinterventionen im Raum stehen.

http://www.nzz.ch/wirtschaft/die-schweizer-haben-fuer-uns-vorgespurt-1.18440022