Mojmír Hampl (Financial Times Deutschland 20.4.2010)
Die Europäische Union will drei neue Superbehörden für die Finanzaufsicht schaffen - und geht das Problem damit von der falschen Seite an. Schon der Entwurf ist ein Beispiel für Regulierungsversagen
Von Mojmír Hampl
Ende vergangenen Jahres haben die Finanzminister der Europäischen Union die Grundzüge einer neuen Aufsichtsarchitektur für die EU-Finanzmärkte beschlossen. Jetzt muss das Europäische Parlament sich dieses äußerst sensible Thema vornehmen. Umstritten sind dabei vor allem die Befugnisse und Verpflichtungen, die den drei neuen gesamteuropäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Wertpapiere und Versicherungen übertragen werden sollen. Obwohl sich manch einer beschwert, der im Dezember vereinbarte Kompromiss zur Finanzregulierung gehe nicht weit genug, gibt es gute Argumente dafür, dass das Gegenteil der Fall ist.
Ausgangspunkt für die geplante Reform war ein Bericht, den der ehemalige Präsident der französischen Zentralbank und IWF-Chef Jacques de Larosière Anfang 2009 veröffentlicht hat. In diesem Bericht blieben jedoch viele entscheidende Fragen unbeachtet, die auch in der anschließenden Debatte zur Finanzreform größtenteils übersehen wurden.
Wie die Krise gezeigt hat, gibt es eher zu viele als zu wenige Aufsichts- und Regulierungsbehörden, die die europäischen Finanzmärkte überwachen - nahezu 70 in der gesamten EU. De Larosière und diejenigen, die seinen Vorschlägen folgen, haben es vollkommen aufgegeben, zunächst die Institutionen auf nationaler Ebene zu vereinfachen und zusammenzulegen und erst dann auf diesem verkleinerten Fundament ein übernationales Gremium zu errichten. Stattdessen fangen sie direkt bei den völlig neuen europaweiten Institutionen an, die später einmal entstehen sollen. Das ist eine klassisch bürokratische Reaktion: Sobald ein neues Problem auftaucht, wird eine neue Institution gegründet. Welch ein Fehler!
Erinnern wir uns an den Anfang der Krise: Die britische Bank Northern Rock gilt heute als ein Beispiel dafür, wie ein schlechter Kommunikations- und Informationsaustausch zwischen lediglich drei nationalen Behörden die Lage schnell verschlimmern kann. Wir müssen bei den nationalen Aufsichtsbehörden mit der Reform beginnen (wie Deutschland es wohlweislich tut) und dann bei Bedarf auf die europäische Ebene wechseln, nicht andersherum.
Das neue Regulierungsmodell geht zudem auch nicht auf eine hartnäckige Schwäche des einheitlichen europäischen Finanzmarkts ein: Wie sollen die Kosten bezahlt (oder die Lasten verteilt) werden, wenn eine multinationale Bank in Konkurs geht? Eine systemische Lösung muss der Errichtung neuer europäischer Institutionen vorausgehen und nicht folgen.
Wir Europäer können zwar stolz sagen, dass wir einen einheitlichen Finanzmarkt haben, doch der ist nur für gute Zeiten ausgelegt. In schlechten Zeiten sind es die nationalen Steuerzahler, die für sämtliche Probleme des Finanzsektors zahlen, da es keinen gesamteuropäischen Steuerzahler oder annehmbare Modelle zur Verteilung der Lasten gibt. Vergangenen Juni wurde auf EU-Ebene vereinbart, dass die Entscheidungen der europäischen Institutionen nicht in die Verfügungsgewalt der Mitgliedsstaaten über die Steuerpolitik eingreifen sollten. Wie dies mit einer gesamteuropäischen Regulierung in Einklang gebracht werden kann, ist fraglich. Viele Entscheidungen, die die neuen europäischen Institutionen fällen werden, ziehen Kosten nach sich, die erst viel später sichtbar werden.
Die Idee ist nett, aber unausgegoren: Es wird nicht genau festgelegt, welche Steuerzahler geradestehen müssen, wenn etwas schiefläuft und die Sparer ihr Geld zurückwollen, wie zum Beispiel bei den isländischen Banken in Großbritannien, den Niederlanden und sogar in der Schweiz.
Solange diese entscheidenden Punkte ungeklärt sind, verstößt das von uns errichtete europaweite System gegen die goldene Regel, die für jedes institutionelle Modell gilt: Entscheidungen sollten von denjenigen getroffen werden, die die Verantwortung tragen und letztendlich zahlen müssen. Bei zu großer Machtkonzentration auf der europäischen Ebene müssen sich die nationalen Regierungen und Behörden zwar vor ihren Bürgern verantworten und die "Rechnung begleichen", aber es mangelt ihnen an Durchsetzungsfähigkeit. Umgekehrt werden die europäischen Institutionen zwar weder die Kosten noch die Verantwortung tragen, aber die Entscheidungen fällen.
Es ist somit recht beunruhigend, dass die Befugnisse dieser Institutionen womöglich noch stärker ausgeweitet werden. Die drei neuen Behörden werden nicht nur gemeinsame technische Standards durchsetzen, die schließlich in der gesamten EU verbindlich werden könnten, sondern sie werden auch berechtigt sein, Streitigkeiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden beizulegen.
Vor allem: Wenn der Rat einen finanziellen Notstand ausruft - wie derzeit der Fall -, könnte den EU-Behörden sogar eine Vormachtstellung gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden eingeräumt werden. Selbstverständlich handelt es sich bei solchen "Streitigkeiten" und "Notständen" um genau die Situationen, die für die nationalen Entscheidungsträger und Steuerzahler am wichtigsten sind.
Wenn Entscheidungen über systemisch wichtige nationale Finanzinstitute in guten Zeiten auf europäischer Ebene getroffen werden, während in schlechten Zeiten die nationalen Steuerzahler die Rechnung dafür bezahlen, verliert die ganze EU. In guten Zeiten merken wir den Unterschied wahrscheinlich gar nicht, doch ein solches Übereinkommen wird eine weitere Krise wahrscheinlich nicht verhindern. Warum baut die EU dann das Haus vom Dach nach unten?
Mojmír Hampl ist Vizegouverneur der Tschechischen Nationalbank und Mitglied des Wirtschafts- und Finanzausschusses der EU (WFA).