Tschechiens Abschied von der aggressiven Zinspolitik (in German language)

Interview of the Deputy Governor Marek Mora
By Andreas Mihm (Frankfurter Allgemeine Zeitung 30. 11. 2021 seite 25, rubrik Finanzen)

Die Notenbank der Tschechischen Republik (CNB) betreibt eine konservative Geldpolitik, ihre Vorstandsmitglieder gelten als zinspolitische „Falken“. Dennoch hatten sie Anfang November mit einer Zinserhöhung überrascht, die noch höher ausfiel als am Markt erwartet. Um 1,25 Punkte auf 2,75 Prozent stieg der Satz für zweiwöchige Ausleihungen an, seit Sommer waren das 250 Basispunkte. Mehr Zuwachs gab es in der Zeit nur in Brasilien: 400 Basispunkte.

Doch mit der aggressiven Zinspolitik in Tschechien dürfte nun erst einmal Schluss sein. So große Schritte wie in den letzten beiden Sitzungen seien für die Sitzung am 22. Dezember nicht zu erwarten, sagte Marek Mora, der Vizegouverneur der Prager Notenbank im F.A.Z.-Gespräch: „Wir sind bereit, die Zinsen weiter zu erhöhen, aber nicht mehr so stark. Wir haben genug getan. Jetzt kommt es auf das Fine-Tuning an.“

Mora bestätigte das Ziel, im ersten Quartal die Zinsen für die Interbankausleihungen (Pribor) auf 3,5 Prozent herauf zu schleusen. Das wären dann noch 50 Basispunkte. „Die jetzige Prognose zeigt, dass wir entweder um 25 Punkte im Dezember und 25 im Februar oder einmal um 50 Punkte im Dezember erhöhen. Das ist eine rein rechnerische Betrachtung, alles hängt von der weiteren Risikoentwicklung ab.“ Gouverneur Jiří Rusnok hat gesagt, die Dezember-Erhöhung könnte auch ganz ausfallen.

Eines der von Mora beschriebenen Risiken ist die Pandemie. Erst am Donnerstag hatte die scheidende Regierung unter Premierminister Andrej Babiš den Notstand ausgerufen und Kontaktbeschränkungen eigeführt. Mora hält die Folgen für überschaubar: „Wir haben im Herbst des vergangenen Jahres gesehen, dass die Wirtschaft damit gut leben kann.“ Entscheidend für die Beurteilung der geldpolitischen Lage sei die Entwicklung der Inflation. Im Oktober betrug sie 5,8 Prozent im Jahresvergleich. Mora erwartet ein weiteres Anziehen. „Sie dürfte im ersten Quartal auf 7 Prozent steigen, vielleicht noch mehr. Aber dann erwarten wir ein rasches Sinken. Anfang 2023 sollte unser Inflationsziel von 2 Prozent wieder erreicht sein.“

Gründe für den Preisanstieg lägen teils außerhalb der Reichweite der CNB: unterbrochene Lieferketten, der Chipmangel, der die Autoindustrie schwer trifft, die höheren Energiepreise. Doch sei etwa die Hälfte des Preisauftriebs hausgemacht. Vor allem der wieder angespannte Arbeitsmarkt mit der niedrigsten Arbeitslosenrate in der EU macht Mora Sorge. „Es droht das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale, und das wollen wir vermeiden.“ Die Regierung habe mit der unlängst beschlossenen Erhöhung des Mindestlohnes den Preisdruck erhöht.

Ein anderer Treiber sind die im vergangenen Quartal mit bis zu 21 Prozent steigenden Immobilienpreise. Vorigen Donnerstag hat die CNB die Regeln für die Vergabe von Hypothekarkrediten verschärft. Unter anderem darf der Kredit nicht mehr als 80 Prozent des Kaufpreises ausmachen, die Gesamtschuld des Käufers 8,5 Jahreseinkommen nicht übertreffen und die monatliche Kreditbelastung 45 Prozent des Nettoeinkommens nicht überschreiten. Allerdings sei das vor allem als Schutz für die Bankbilanzen gedacht, sagt Mora.

Eine Folge der Zinserhöhungen ist der starke Wechselkurs der tschechischen Krone, auch wenn die zuletzt wegen Covid-19 und des starken des Dollars etwas an Boden verloren hat. „Die Aufwertung des Wechselkurses hat die gleiche Wirkung wie eine Zinserhöhung“, analysiert Mora und ergänzt: „Das spielt für uns eine wichtige Rolle, weil der Wechselkurs die Bedingungen für die Geldpolitik in einer kleinen, offenen Volkswirtschaft wie der Tschechischen Republik mitbestimmt.“

Den Hinweis des internationalen Währungsfonds aus der vorigen Woche, die Notenbank möge „bei künftigen Maßnahmen die Risiken einer zu schnellen Anhebung der Zinssätze sorgfältig berücksichtigen“, konjunkturelle Abwärtsrisiken könnten „durch eine verfrühte Straffung der Politik noch verschärft werden“, nimmt Mora als Bekräftigung des geldpolitischen Kurses.

Die Politik straffer Zinsen ist nicht unumstritten. Zwei der sieben Mitglieder des Zentralbankrates hatten zuletzt dagegen gestimmt. Mora sagt, mit der straffen Geldpolitik verteidige man die Interessen der Mehrheit der Tschechen, die keine Bankschulden, wohl aber Geld auf dem Konto hätten, dessen Wert durch die Inflation mindestens real 3 Prozent schrumpfe.

Indirekt weist er damit auch den Vorwurf des scheidenden Ministerpräsidenten Babiš zurück, der die Zinserhöhung „absolut unsinnig“ gescholten hatte. Das helfe nur den Banken, ihre Gewinne zu erhöhen und schade der Wirtschaft. Die Kritik, die die qua Verfassung unabhängige Notenbank nicht kommentiert, ist deshalb beachtenswert, weil erwartet wird, dass Babiš sich in der nächsten Wahl zum Staatspräsidenten Chancen ausrechnen kann. Und es ist der Staatspräsident, der in der Tschechischen Republik die Mitglieder des Zentralbankrates entlässt und ernennt.